Bloß keine Gleichberechtigung

20161223_131713Jahresrückblick 2016. Heute: »Demos für alle«. Gesellschaftspolitische Rollbackversuche ultrakonservativer Kräfte

Aus: jW, Ausgabe vom 27.12.2016, Seite 4 / Inland

Von Markus Bernhardt

Mehrmals wurden in bundesdeutschen Städten in diesem Jahr Aufmärsche von evangelikalen Fundamentalisten, Rechtskonservativen, sogenannten Lebensschützern und anderen Ewiggestrigen organisiert, die gegen die gesellschaftliche Gleichstellung von Homo-, Bi- und Transsexuellen mit Heterosexuellen protestierten. Bei den reaktionären Demonstrationen, an denen teilweise mehrere tausend Personen teilnahmen und zu denen oft auch von CDU-Gliederungen und -Funktionären, der AfD und offen neofaschistischen Gruppierungen aufgerufen worden war, sprachen sich die Teilnehmer auch gegen Abtreibungen und ein modernes Frauenbild aus.

Vor allem die Bewegung »Demo für alle« hatte unter anderem in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern dagegen mobilgemacht, dass Schüler künftig fächerübergreifend zur »Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten« erzogen werden. Die Gleichstellungsgegner sprachen in diesem Zusammenhang von »Frühsexualisierung unserer Kinder«, als gäbe es keine Internetpornos, die nach unterschiedlichen Studien und Schätzungen schon 60 bis 80 Prozent der Jugendlichen ab 13 Jahren gesehen haben.

Vorbild Frankreich

demo-fuer-alleNach eigenen Angaben beziehen sich die Reaktionäre auf die französische Bewegung »La Manif pour tous«, die 2013 mehr als 1,5 Millionen Menschen gegen die Gleichstellung von Homosexuellen auf die Straßen Frankreichs hatte bringen können. So kam es damals anlässlich der Einführung der Homoehe und der Möglichkeit für homosexuelle Paare, Kinder zu adoptieren, mehrfach zu Massendemonstrationen, die keineswegs nur vom rechten Rand, sondern maßgeblich aus der Mitte der Gesellschaft heraus organisiert worden waren. Im Rahmen der Protestserie kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Homogegnern und der Polizei. Ein Mann erschoss sich sogar aus Protest gegen die Gleichstellungspolitik. Neofaschisten ermordeten zudem den Studenten und Antifaschisten Clément Méric, der zuvor in Paris an Protesten gegen die Aufmärsche der Homohasser teilgenommen hatte.

Auf ihrer Internetseite wendet sich auch die »Demo-für-alle«-Bewegung gegen angeblich alles durchdringende »Umerziehungsversuche gut organisierter Lobbygruppen und Ideologen« und will »die Abschaffung der natürlichen Geschlechter durch das Gender-Mainstreaming und die Zerstörung der Familie« ausgemacht haben.

Als eine Art parlamentarischer Arm der Homohasser gilt die »Alternative für Deutschland« (AfD). Deren Parlamentarier, wie beispielsweise der thüringische Fraktionschef Björn Höcke, halten etwa Gender-Mainstreaming für eine »Geisteskrankheit«. Höcke kündigte daher im September den Kampf gegen den »perversen Zeitgeist« an. »Wir werden ihm die Stirn bieten, wir stehen gerade und aufrecht für die Natürlichkeit der Familie, für die Natürlichkeit der Sexualität, für das, was die Gesellschaft prägt: die natürliche Verbindung aus Mann und Frau«, so Höcke in einer Rede in Heuthen.

Vor allem AfD-Bundesvize Beatrix von Storch hat sich zum Sprachrohr der Homo- und Gleichstellungsgegner erkoren und warnt vor der angeblichen Zersetzung der klassischen Familie. Hans-Thomas Tillschneider, Abgeordneter der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt, wetterte erst vor wenigen Tagen gegen das »Regenbogen-Trallala«. Die Schlechterstellung homosexueller Paare ist ganz im Sinne des AfD-Politikers. Schließlich sei die heterosexuelle Familie für den »Fortbestand unseres Volkes unverzichtbar«. Wenn Vertreter der anderen Parteien von Vielfalt redeten, dann meinen sie laut Tillschneider »Multikulti und Gender. Sie meinen also gerade die Aufhebung aller kulturellen und geschlechtlichen Identitäten und aller tradierten Normen«.

Auch für Tillschneiders Fraktionschef André Poggenburg scheint das Thema Homosexualität einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Er hetzte mehrfach derart gegen sexuelle Minderheiten, dass die Hamburger Dragqueen Olivia Jones Mitte September Strafanzeige gegen ihn erstattete. Infolgedessen legte der Rechtsaußenpolitiker nach und warnte vor einer »überbordende(n) Förderung von Minderheiten« sowie mit Blick auf Schulaktionspläne zum Thema Gleichstellung vor einer »Schändung von Kinderseelen«.

Grüner Flügelkampf

Politisch isoliert sind die Ewiggestrigen mit ihren rückwärtsgewandten Ideologien jedoch keineswegs. So tobt bei Bündnis 90/Die Grünen seit Wochen ein Streit über den Umgang mit Schwulen und Lesben sowie ihren Gegnern. Die harschesten Angriffe auf Homosexuelle und deren Unterstützer kommen dabei aus dem konservativen Hort der Partei, Baden-Württemberg. Begonnen hatten die politischen Auseinandersetzungen, nachdem Winfried Kretschmann, immerhin Ministerpräsident der Grünen im Ländle, im Oktober in der Zeit behauptet hatte, dass die »klassische Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen« sei und bleibe – und in Anlehnung an das Outing des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), dessen Ausspruch »und das ist auch gut so« hinterherschob. Als Kretschmanns Äußerung bundesweit für deutliche Kritik sorgte, sprang ihm sein Parteifreund, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, umgehend bei. Palmer monierte, dass er »nicht als homophob bezeichnet werden« wolle, wenn er es »ganz gut finde, dass die Mehrheit nicht homosexuell ist«. Zudem nutzte Palmer den Kampfbegriff der »Homolobby«, der sonst maßgeblich von AfD- und »Demo-für-alle«-Anhängern zur Diffamierung von Lesben, Schwulen und Transsexuellen verwendet wird. Erst am vorvergangenen Wochenende war bekanntgeworden, dass die »grün-schwarze« baden-württembergische Landesregierung die Mittel für den Aktionsplan »Für Akzeptanz und gleiche Rechte Baden-Württemberg« im kommenden Jahr offenbar von 500.000 auf 250.000 Euro kürzen will.

Die politische Linke ist derzeit nicht in der Lage, den Kampf für Gleichstellung und gegen das rechte Dauergezeter aufzunehmen. So streiten Teile der Linken lieber für den Gebrauch von Binnen-I und Gendersternchen, statt die real existierende Ungleichheit und Diskriminierung zu bekämpfen – und hierbei durch weniger Sprachkosmetik mehr Menschen einzubeziehen.

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