Bundestagsfraktion der Partei »Die Linke« auf Irrwegen

 

Zur CSD- Saison hat die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE (PDL) einen Folder herausgegeben, den wir nicht unwidersprochen lassen möchten. Maßgeblich mitverantwortlich ist dafür der dem rechten Berliner Parteiflügel zuzuordnende Bodo Niendel, der (nicht erst) in letzter Zeit gern mal Alleingänge tätigt und damit auch mehr und mehr die Unterstützung von Basis und Fraktion verliert. Nach Informationen, die DKP queer vorliegen, wird dieser Folder auch von vielen Mitgliedern der Bundes- und Landesarbeitsgemeinschaften (BAG/LAG) queer der PDL nicht unterstützt oder verteilt werden.

 

Much Ado about Nothing?

Der Folder hat auch gute Teile. So schreibt Jan Korte im Artikel „Kaum Asyl für Homosexuelle“: „In vielen Ländern der Welt droht Homosexuellen strafrechtliche Verfolgung – sogar die Todesstrafe. Dennoch sind ihre Chancen auf Asyl in Deutschland gering. Sie müssen nachweisen, dass sie bereits Opfer von erniedrigenden Strafen oder Misshandlung geworden sind oder ihnen eine solche Verfolgung ganz konkret droht. Immer noch muten deutsche Verwaltungsgerichte den Betroffenen zu, sie könnten ihre Homosexualität im Verborgenen leben, bräuchten dafür kein Asyl.“ Laut Korte fordert die PDL, „allen Menschen Asyl zu gewähren, denen im Herkunftsland aufgrund ihrer sexuellen Identität Kriminalisierung und strafrechtliche Verfolgung droht. Dies muss auch gelten, wenn der Staat diese Menschen nicht ausreichend vor homophober Gewalt aus der Bevölkerung schützen kann oder will.“

Schöne Worte, aber Papier ist geduldig. Die reale Politik der PDL hat mit den von Korte benannten Vorstellungen leider wenig zu tun. DKP queer berichtete mehrfach vom Fall Rodrigue K.: „Rodrigue kommt aus Kamerun und ist als Homosexueller dort von Strafverfolgung und Folter bedroht. Rodrigue floh 2010 aus Kamerun, nachdem er und sein damaliger Partner von der Polizei „auf frischer Tat ertappt“, verprügelt und verhaftet worden waren. Von seiner Familie verstoßen, stellte Rodrigue in der BRD einen Asylantrag, der im Januar 2011 abgelehnt wurde. Die Ablehnung begründete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge u.a. damit, dass es Zweifel an seiner Homosexualität habe. Rodrigue reichte gegen diese Entscheidung Klage ein. Anfang 2011 lernte er den Studenten Dennis kennen, der Rodrigue nach einiger Zeit einen Heiratsantrag machte, und die beiden gingen im August 2011 eine Lebenspartnerschaft ein. Die Ausländerbehörde Elbe-Elster kümmert die eingetragene Lebenspartnerschaft wenig. Sie wollten Rodrigue bereits wenige Wochen später nach Kamerun abschieben.“

Mittlerweile hat sich die Situation entschärft und Rodrigue darf bleiben. Dies geschah aber erst durch eine Online-Petition. Probleme gibt es noch immer mehr als genug. Nachzulesen auf unserer Homepage und in Ausgabe 23 der red & queer. Der besagte Landkreis Elbe-Elster, der Rodrigue K. wieder abschieben wollte, liegt übrigens in Brandenburg. Dort regiert ja bekanntlich eine sogenannte „rot-rote“ Koalition, also die PDL mit an der Regierung.

Gregor Gysi und die Adenauer-BRD

Mehr Unsinn bringt Gregor Gysi in diesem Folder. Unter der Überschrift „Öffnung der Ehe“ setzt Gysi erst die Homo-Politik der DDR und des BRD-Adenauer-Regimes gleich. Gekonnt umschifft er dabei, die Gesetzgebung der beiden Staaten detailliert aufzuzeigen. Die genannten Fakten stimmen zwar, doch sollte der Jurist Gysi differenzieren können: „1994 wurde der Paragraph 175 [Der sog. „Schwulen-Paragraph. Anm.d.Red.] endgültig aus dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik getilgt. Dies geschah erst im Zuge der Rechtsangleichung, denn die DDR hatte das Pendant, den §151, bereits 1988 gestrichen.“ So Gysi.

Ein Pendant ist ein passendes Gegenstück! Wer den BRD Schandparagraf 175 als ein passendes Gegenstück des §151 der DDR bezeichnet macht es sich sehr leicht. Während die BRD bis 1969 sogar den durch die Faschisten verschärften §175 weiter verwendete, was in einem ungeheueren Maße unbeschreiblich ist, kehrte die DDR zum §175 der Weimarer Republik zurück. Angesichts der Homosexuellenpolitik der NSDAP ein gehöriger Unterschied! Auch der Grad der Anwendung in BRD und DDR zeigt, wohin die Reise geht.

In der Zeit des deutschen Faschismus wurden zwischen 1933 und 1943 (von 1944/45 liegen keine Zahlen vor) rund 51.000 Menschen nach §175 verurteilt. Nach der Befreiung Europas wurden in der SBZ und der DDR zwischen 1945 und 1988 nach §175 und §151 wenige hunderte Menschen verurteilt. Faktisch wurden beide Paragrafen kaum angewendet. Nicht so in der BRD. Allein zwischen 1945 und 1969 wurden nach dem weiterhin geltenden faschistischen §175 rund 60.000 Menschen verurteilt. Wer vor 1945 verurteilt wurde, dem wurde diese Strafe strafverschärfend angerechnet. Auch nach 1969 wurden noch rund 3.500 Menschen in der BRD verurteilt.

Da es nunmal auch in der PDL inzwischen zum normalen Ton gehört, die DDR zu diskreditieren, wie es der FDP Justizminister Kinkel in den frühen 1990er Jahren forderte, nachdem er nicht mehr BND-Chef, aber noch nicht Aussenminister war, ein verständlicher Text. Dabei sind sich die Bundestagsfraktion der PDL und ihr Vorsitzender Gysi auch nicht zu schade mit der Geschichte zu jonglieren.

Für Homo-Ehe. Oder doch nicht?

Eben dieser Gysi steuert seine Fraktion und Partei dann gleich weiter in die totale Systemkompatibilität, wobei emanzipatorische Inhalte leichtsinnig über Bord geworfen werden. „Öffnung der Ehe – Im Jahre 2001 wurde die Tür zur Gleichstellung von Lesben und Schwulen geöffnet. Das Lebenspartnerschaftsgesetz wurde eingeführt. Lesben und Schwulen wurde erstmals das Recht einer staatlich legitimierten Partnerschaft eingeräumt.“ Zwar schreibt Gysi weiter: „Jedoch führte das Gesetz zu gleichen Pflichten, aber nicht zu gleichen Rechten im Vergleich zur Ehe“, jedoch geht er nicht auf die Forderung nach Abschaffung der Eheprivilegien ein, oder wie wir es fordern: „Alle freiwillig eingegangenen Beziehungen zwischen Menschen in welcher Konstellation auch immer, egal ob in einer Ehe oder nicht, sind gleichberechtigt zu behandeln. (…) Nicht nur die Ehe und die Familie herkömmlicher Art, sondern auch andere Beziehungsgemeinschaften, in denen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, sind gleichberechtigt zu behandeln und im Grundgesetz unter den Schutz der staatlichen Ordnung zu stellen.“

Stattdessen schreibt Gysi: „Mehr als zehn Jahre später sind wir ein Stück weiter und die Emanzipation ist trotz der Blockaden vieler Konservativer vorangeschritten. (…) Ich freue mich, dass es das Bündnis „Keine halbe Sache“ gibt, bestehend aus den Grünen, SPD, FDP, DIE LINKE, Gewerkschaften und den Lesben und Schwulen in der Union (LSU), das die Ehe für Lesben und Schwule öffnen will. (…) Die Zeit ist reif, dass wir die Eheöffnung ohne Partreiräson und Koalitionszwang im Bundestag entscheiden.“

Falsch Gregor! Die Zeit ist reif, die Eheprivilegien abzuschaffen oder aber diese Privilegien allen zukommen zu lassen, die füreinander Verantwortung übernehmen. Ob in einer Ehe oder nicht!

Auch wird in dem Folder auf das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) eingegangen. Gregor, auch dazu einen Tipp an Dich: Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die Umsetzung einer EU-Richtlinie, sieht aus wie sexuelle Emanzipation, zielt aber eigentlich, wie alles in der EU, auf europaweite Durchsetzung der Kapitallogik ab. Notwendig ist ein viel weiter gehender tatsächlich durchsetzbarer Schutz vor Diskriminierung. Dazu kannst Du Dir gerne weitere Publikationen von DKP queer durchlesen.

Angst vor den Russinnen und das Vorurteil von der maskulinen Kampflesbe

Aber kommen wir zu einem Text, der die unmögliche Titelseite des Folders zum Thema hat. „Hassgesetz in Russland“ titelt der Artikel von Stefan Liebich. Liebich hetzt populistisch gegen Russland und seine Bevölkerung. Stattdessen wäre es doch sinnvoller, auf die fortschrittliche Gesetzgebung in Sowjetrussland nach der Oktoberrevolution einzugehen. Auch DKP queer teilt die Ansicht, dass die neueste russische Gesetzgebung zur Unterdrückung von queerer Emanzipation angegriffen und abgeschafft gehört. Doch bringt da ein plumpes Putin-bashing etwas? Noch dazu ein „cooles Anti-Putin-Poster“?

Kurz vor Schluss kommt in dem Folder noch ein Kurz-Gespräch mit Gudrun Fertig und ihrer Geschäftspartnerin Manuela Kay, beide haben im Mai den für Szenepublikationen bekannten Jackwerth Verlag übernommen. In dem Interview wird fast jedes Klischee, das es gegen Lesben gibt, bedient. Mag sich ja lustig anhören, ist es aber nicht: „Lesbische Übernahme – Gibt es jetzt keine schwulen Themen mehr in euren Heften? Genau, es geht nur noch um Fußball, Motorräder und lesbischen Sex. Führt ihr eine Männerquote ein!? Und eine Tunten-, Dyke-, Trans-, Multikulti- und Femmequote. Es bleibt viel zu tun, bis Vielfalt überall eine Selbstverständlichkeit ist. Kann man im Kapitalismus überhaupt guten Journalismus machen, oder regiert sowieso das Geld? Wir glauben daran, letztlich werden die Leser und Leserinnen darüber abstimmen. Warum tut ihr euch den ganzen Stress an? Weil wir ins Fernsehen wollen, ins Radio und zu Podiumsdiskussionen. Wenn es die Homoquote nicht tut, dann eben als weibliche Verlegerinnen, die ihren Verlag nicht vom Ehemann geerbt haben wie andere.“

Repolitisierung des CSDs – So nicht!

Gehen wir nochmal zum Anfang des Folders zurück: Dort schreibt Barbara Höll, die queerpolitische Sprecherin der PDL-Bundestagsfraktion: „Auch in diesem Jahr werden wir auf den CSDs und den Straßenfesten viel feiern. Spass macht es. Doch die Freude ist nicht ungetrübt.“ Danach geht sie auf den Inhalt des Folders ein. Allem Anschein nach haben wir unrecht wenn wir eine Repolitisierung der CSDs fordern. Man kann ja überall feiern. Ein zweiter Karneval im Sommer ist doch toll! Nach diesem Text werden einige Fragen, die wir in der aktuellen Ausgabe der red & queer stellen, zumindest so beantwortet.

Vielmehr stellen wir die Frage „Sind die CSDs nur noch riesige Spaßveranstaltungen? Ist jener Geist von Stonewall Inn, der in den Junitagen des Jahres 1969 die Schwulen und Lesben weltweit beflügelte, heute kein Thema mehr? Haben die CSDs ihren politischen Charakter wirklich völlig verloren?“ etwas anders.

Wir rufen in der gleichen Ausgabe dazu auf: „Die CSDs sind absolut wichtig und notwendig. Aber nicht als „Karneval im Sommer“, sondern um Widerstand aufzubauen. Wir bekommen unsere Rechte nicht geschenkt. Wir müssen sie erkämpfen. Beteiligt euch an CSDs, wo auch immer sie stattfinden. Gibt es keinen bei euch? Macht einen! Ist der CSD vor Ort zum Karneval verkommen, macht darauf aufmerksam, versucht etwas zu ändern! Es geht beim CSD um mehr als nur Saufen, Fressen, Tanzen, Ficken! Es geht um uns und um unsere Rechte! Nur eins sollte uns allen klar sein, in diesem System, das mit Ausgrenzung, Gewalt und Unterdrückung der breitesten Masse der Bevölkerung arbeitet ist das nicht zu machen! Wir brauchen ein anderes System. Viele Denken, der Fehler liegt in diesem System. Das ist der Denkfehler bei vielen. Denn das System ist der Fehler!“

 

Als am Sonntag massiv der Folder von Bodo Niendel und ein paar seiner Getreuen auf dem Motzstraßenfest verteilt wurde, sah nach kurzer Zeit die Eisenacher Straße so aus. Überall lagen sie auf der Straße.

Original Folder

offener Brief PDL queer

JW Interview zum Thema

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*