Die Premiere – Sexworker-Stand auf dem Sommerfest der DKP Berlin!
(Ein Artikel von Andreas Reichelt, DKP Berlin, Mitglied bei move e.V.)
Sexarbeiter*innen sind die am stärksten diskriminierte und gesellschaftlich ausgegrenzte Bevölkerungs- und Berufsgruppe. Viele von ihnen müssen sogar ihren Freunden, Familien und Partnern verschweigen, wie sie ihr Geld verdienen. Wollen sie den Beruf wechseln hin zu einer „bürgerlichen“ Tätigkeit, können sie in ihrem Lebenslauf nicht erwähnen, dass sie die letzten Jahre in der Prostitution gearbeitet haben. Denn dann ist die Chance, ein Bewerbungsgespräch angeboten zu bekommen, sehr gering. Diskriminierende Gesetze, wie etwa das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das seit Juli 2017 in Deutschland in Kraft ist und das auf Sexarbeitende sehr erschwerende bis existenzvernichtende Wirkung entfacht hat, verbessern ihre Situation natürlich nicht. In Gegenteil. Höchste Zeit, dass auch sie einen eigenen Stand auf dem Sommerfest der DKP Berlin bekommen, um auf ihre schwierige Situation hinzuweisen und mit uns ins Gespräch zu kommen.
Prostituierte auf einem kommunistischem Sommerfest? Warum nicht?
Der Sexworker-Stand wurde dann auch vom Verein move e.V. gebucht, dem „Verein für Bildung und Kommunikation in der Sexarbeit“, und betrieben von seiner Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“. Die Kampagne ist ein bundesweites Netzwerk von Sexarbeiter*innen, queer/feministischen Aktivist*innen und Sozialarbeiter*innen, die sich gemeinsam für die Rechte von Sexarbeiter*innen einsetzen.
Stephanie Klee, Mitglied dieser Kampagne und Vorsitzende von move e.V., sie ist zudem Vorsitzende des „Bundesverbandes sexuelle Dienstleistungen“ (BSD) und seit über zwanzig Jahren selbst Sexarbeiterin, stellte sich der Diskussion und den Fragen der Gäste des Sommerfestes, diskutierte mit ihnen und zeigte auf ihrem Laptop Fotos von der Strich / Code / Move Schwarmkunstaktion in Dauerschleife, die vom 22. bis 27. Juli auf dem Washingtonplatz hinter dem berliner Hauptbahnhof von der Kampagne organisiert und durchgeführt wurde und ein reges mediales Echo sowie Begeisterung und viel Interesse auch bei den Passanten hervorgerufen hat.
Im Rahmen dieser Kunstaktion wurden fünf Wohnwagen als Synonyme für „Lovemobile“ oder andere Prostitutionsarbeitsplätze in Form einer „Wagenburg“ aufgestellt und ein buntes Programm von Performances über Workshops und Gesprächen mit vielen Sexarbeiter*innen bis hin zur großen DASPU-Modenschau angeboten. (Bei DASPU handelt es sich um ein brasilianisches Sexarbeiter*innen-Modelabel, das 2005 in Rio de Janeiro gegründet wurde. Ihr Anliegen ist Respekt für die Sexarbeit zu erhalten und ohne Kontrolle und Verfolgung arbeiten zu können. Weltweit ist es schon zu Catwalks gekommen, wo Sexarbeiter*innen dann als Models auftreten.)
Gleichzeitig beklebten Künstler*innen mit den Akteuren und den Passanten/Besuchern mit Etikettiermaschinen die Wohnwagen, Boden, Laternen und Sitzgelegenheiten und kamen dabei ins Gespräch über Intimität, Sexualität und Sexarbeit. Man lernte sich kennen und trat in den Dialog.
Das Thema Sexarbeit wird auch in unserer Partei zum Teil sehr hitzig diskutiert, oft ohne sich näher mit diesem Thema zu beschäftigen oder sich gar bei Sexarbeiter*innen über ihre Erfahrungen zu informieren. Und so konnte man sehr gespannt sein, wie dieser Sexworker-Stand von den Genoss*innen und den Gästen aufgenommen werden würde.
Die SDAJ hatte ihren Stand direkt daneben und wie Stephanie mir später sagte, hat sie sich mit ihren Nachbarn sehr gut verstanden, sie haben viel miteinander geredet und Stephanie erfuhr so einiges über unseren parteinahen Jugendverband.
Hier nun Stephanies Einschätzung, die sie mir später schriftlich zukommen ließ:
„Unser Stand beim DKP-Sommerfest am 24. 08. 2019 war eine große Freude – trotz Hitze, denn die DKP’ler haben uns freundlich aufgenommen, begrüßt und vielfältig bedankt, dass wir dabei sind und sie so über unsere Erzählungen und die vielen Fotos einen kleinen Eindruck von dem Strich / Code / Move Schwarmkunstprojekt erhielten.
Auf besondere Freude ist das Wiedersehen mit manchen politischen Mitstreiter*innen gestoßen. Auch ein ehemaliger Bordellbetreiber plauschte mit uns über alte Zeiten und erzürnte sich über das neue Prostituiertenschutzgesetz und die ProstitutionsgegenerInnen mit ihrer Forderung nach einem Sexkaufverbot für Deutschland.
Darauf bezogen sich dann auch etliche Besucher*innen. Wie immer bezogen sie „ihr Wissen“ aus Zeitungsberichten, konnten sich vieles „einfach nicht vorstellen“ und unterstellten mir sogar, dass ich „mich selbst belügen“ würde. Dabei hatte ich klar und deutlich erklärt, dass ich als Sexarbeiterin arbeite, sogar schon seit vielen, vielen, vielen Jahren und dies auch freiwillig und gern tue – trotz anderer Alternativen.
Wie arrogant, paternalistisch, selbstgefällig und wenig wertschätzend ist das!
„Aber man liest doch immer, dass fast alle Sexarbeiter*innen nicht freiwillig diesen Job ausüben.“,
„So viele fremde Männer, mit denen man Sex haben muss; das ist doch sicher ekelig!“,
„Bordellbetreiber sind doch immer kriminell und gehören zur Mafia.“
etc.
Gegen diese Klischees und Vorurteile anzukämpfen, hat schon viel Kraft und Ausdauer gebraucht. Und natürlich frage ich mich: was bringt es, sich mit solchen Menschen zu unterhalten, die festgefahren sind und eigentlich nicht in den Dialog gehen wollen? Sie fragen und fragen und fragen und wissen dann doch alles besser und wollen z. T. dann mich überzeugen, meine eigene Haltung, meine Erfahrungen und meine Bewertung aufzugeben…
Doch was in Erinnerung bleibt, sind die vielen herzlichen und intimen Gespräche, wo wir gemeinsam herzhaft lachen mussten, und die vielen aufmunternden Worte. Also machen wir weiter mit Infoständen = denn wir bieten Informationen an, sind authentisch und sprechen über uns.“
Mein Fazit ist, es ist wichtig, auch in Zukunft Sexarbeiter*innen zu unseren Sommerfesten einzuladen. Ich habe schon ein Feedback vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD) erhalten und deren Generalsekretärin äußerte die Hoffnung, dass sie nächstes Jahr Kapazitäten frei haben, um dann den Sexworker-Stand auf „diesem tollen Fest“ unterstützen zu können.
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