Streit um schwule Nazis

Neofaschistischer Szene steht wegen Vorwürfen gegen Ex-NPD-Chef Apfel eine Neuauflage der Homodebatte ins Haus
Der bundesdeutschen Neonaziszene steht eine Neuauflage der Debatte über ihren Umgang mit schwulen Männern ins Haus. Der Grund dafür liegt in bisher nicht bewiesenen Vorwürfen gegen den bisherigen Vorsitzenden der NPD und deren Fraktionschef im sächsischen Landtag, Holger Apfel.
Apfel, der vor wenigen Tagen all seine Funktionen in der extrem rechten Partei niederlegte und am 24.12. aus der NPD austrat, wird aktuell bezichtigt, einen anderen Neofaschisten sexuell belästigt zu haben. Auf verschiedenen rechten Internetseiten und in sozialen Netzwerken wie »Facebook« streitet die Neonaziszene seitdem wieder über ihren Umgang mit gleichgesinnten Schwulen. Die Mehrheit der Neofaschisten lehnt die Homosexualität von Männern weiter ab, es mehren sich jedoch Stimmen, die konstatieren, daß auch schwule Männer »national« denken können. Dies sei tolerabel, solange sie ihre Sexualität nicht öffentlich darstellten und propagierten.
Widersprüche
Die Auseinandersetzungen um besagtes Thema sind dabei keineswegs neu. Der Umgang der Nazis mit homosexuellen Männern weist schon seit dem deutschen Faschismus erhebliche Widersprüche auf. Eine eindeutige politische Linie existierte dabei stets nur vordergründig. Schwule Faschisten gab es bereits in der NSDAP, und es gibt so Orientierte unter Gleichgesinnten auch heute – sowohl im Umfeld der »Autonomen Nationalisten« als auch bei rassistischen Splitterparteien wie etwa dem Berliner Landesverband von »Pro Deutschland«.
In der Geschichte dürfte der prominenteste schwule Nazi der langjährige Chef der »Sturmabteilung« (SA) Ernst Julius Röhm gewesen sein. Röhm galt nicht wenigen seiner politischen Gesinnungsgenossen als politisch eigenwillig. Unter anderem, weil er in Folge der Machtübertragung an die Faschisten am 30. Januar 1933 die Fortsetzung der »nationalsozialistischen Revolution« einforderte und damit den Interessen der mächtigsten Kapitalgruppen im Wege stand. In der »Nacht der langen Messer« vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 fiel der SA-Chef einer »Säuberungswelle« der Nazis im eigenen politischen Lager zum Opfer und wurde im Gefängnis München-Stadelheim erschossen. Obwohl politische Differenzen dazu führten, nutzte Hitler maßgeblich die Homosexualität Röhms, um die Ermordung seines ehemaligen »Kameraden« zu rechtfertigen. Dieser hatte »bürgerlichen Moralvorstellungen« schon in seiner 1928 veröffentlichten autobiographischen Schrift mit dem eigensinnigen Titel »Die Geschichte eines Hochverräters« den Kampf angesagt. »Nichts ist verlogener als die sogenannte Moral der Gesellschaft. Ich stelle vorweg fest, daß ich nicht zu den Braven gehöre und nicht den Ehrgeiz habe, ihnen zugesellt zu werden«, konstatierte er etwa darin. Röhms sexuelle Vorlieben waren bereits 1931 in verschiedenen Presseveröffentlichungen thematisiert worden.
Erst nach der Ermordung Röhms gingen die Faschisten dazu über, die Verfolgung von Homosexuellen drastisch zu verstärken. So wurde 1936 die »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung« geschaffen – mit deutlichem Schwerpunkt auf dem ersten Aufgabenteil. Vor allem Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, machte sich zu Zeiten des Faschismus als erbitterter Schwulengegner einen Namen. »Es gibt unter den Homosexuellen Leute, die stehen auf dem Standpunkt: Was ich mache, geht niemanden etwas an, das ist meine Privatangelegenheit. Alle Dinge, die sich auf dem geschlechtlichen Sektor bewegen, sind jedoch keine Privatangelegenheit eines einzelnen, sondern sie bedeuten das Leben und das Sterben des Volkes«, konstatierte Himmler am 18. Februar 1937 vor SS-Gruppenführern in Bad Tölz.
Kühnens Kurs
Dazu in krassem Gegensatz stand der westdeutsche Neofaschist Michael Kühnen, der das Thema Homosexualität Jahrzehnte nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus erstmalig wieder öffentlich aufgriff. So veröffentlichte Kühnen als Reaktion auf den schwulenfeindlichen Mord an seinem Gesinnungsfreund, dem 26jährigen Johannes Bügner, der am 28. Mai 1981 durch 21 Messerstiche von vier seiner »Kameraden« bestialisch getötet worden war, 1986 die 70seitige Propagandaschrift »Nationalsozialismus und Homosexualität«. Diese widmete er Bügner, den er als »Blutzeugen unserer Bewegung« glorifizierte.
Ganz im Gegensatz zu Nazigrößen wie Himmler oder auch vielen der heutzutage aktiven Neofaschisten bezeichnete Kühnen Homosexualität in seinem Pamphlet nicht nur als »natürliche, biologische Veranlagung«, sondern positionierte sich darüber hinaus auch gegen »alle Erscheinungsformen von Spießermoral«, wie etwa »blödsinnigem Schwulenhaß«. Außerdem sei Homosexualität von der Natur dazu bestimmt, »einer kleinen Anzahl von Männern zu ermöglichen, sich völlig unbeeinflußt von persönlichen Interessen ganz der kulturellen Entwicklung und dem Dienst an der Gemeinschaft zu widmen«, schlußfolgerte Kühnen. Demnach entspreche Homosexualität auch dem faschistischen Leitsatz »Du bist nichts, dein Volk ist alles!«
Kühnen, der mit dem 2010 gestorbenen Mitbegründer des »Kampfbundes deutscher Sozialisten« (KDS), Thomas Brehl, und dem noch heute bundesweit aktiven Neofaschisten und Gründer der Partei Die Rechte, Christian Worch, in der militanten Neonaziszene gemeinsame Sache machte, starb am 25. April 1991 an den Folgen einer HIV-Infektion. Seine wissenschaftlich verbrämte Argumentation zum Umgang mit Homosexualität stützte er auf keinerlei Quellen. Sie bauten einzig auf den von Neonazis bekannten völkischen, antisemitischen und sozialdarwinistischen Argumentationsmustern auf und sorgten Ende der 1980er Jahre für starke Verwerfungen und Brüche unter gewaltbereiten Neofaschisten. So hatte die ursprünglich von Kühnen gegründete »Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front« (GdNF) am 19. Juli 1986 beschlossen, im Gegensatz zu ihrem Gründer den Kampf gegen gleichgeschlechtlich Orientierte zu proklamieren und ein »Antihomosexuellenmanifest« veröffentlicht, in dem schwule Männer als »Verräter am Volk« gebrandmarkt wurden.
Stimmungsmache à la NPD
Mit dem Tod Kühnens 1991 endeten vorerst die drastischen Debatten, zu denen es in den Vorjahren anhand der Auseinandersetzungen um den Umgang mit schwulen Männern gekommen war. Zwar flammten die besagten Diskussionen innerhalb der Neonaziszene in regelmäßigen Abständen kurzzeitig wieder auf, in größerem Ausmaß werden sie jedoch erst aktuell anhand der Vorwürfe gegen Holger Apfel erneut geführt.
Apfels bisherige Partei hatte in der Vergangenheit mehrfach gegen Lesben und Schwule mobil gemacht. So erklärte etwa Roland Bau Lesben und Schwule anläßlich des Christopher Street Days (CSD) 2004 in einem Artikel im NPD-Parteiorgan Deutsche Stimme (DS), der die Überschrift »Abstoßender Karneval der Endzeitgesellschaft« trug, zu einer »Panne der Humanevolution«. Darin bezichtigte Bau Homosexuelle, die »in der Zurückgezogenheit ihrer vier Wände, wo keine sozialethischen Verheerungen angerichtet werden« könnten, einen »Krieg gegen die Familie als Urzelle der Volksgemeinschaft« zu führen. In der DS-Ausgabe von Juli 2006 übte sich Andreas Molau in homosexuellenfeindlicher Stimmungsmache und stellte für die NPD klar, daß »der sexuelle Exhibitionismus, insbesondere von schmuddligen Randgruppen« in Westeuropa, »längst zur öffentlichen Plage geworden« sei. Nichtsahnende Passanten müßten »auf irgendwelchen ›Days« in ganz Europa ausgewachsene Männer mit rosafarbenen Damenschlüpfern oder Strapsen visuell ertragen«, beschwerte sich Molau damals weiter.
Wie sich die NPD zukünftig in der Frage der Homosexualität positionieren wird, ist noch ungewiß. So war die neofaschistische Partei 2000 unter dem Motto »Homoehe – nicht mit uns« gegen einen CSD in Stuttgart aufmarschiert. Im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus 2001 hetzte sie mit einem Wahlplakat, auf dem »Normal, nicht schwul!« zu lesen stand. Apfels bisheriger Fraktionskollege, der sächsische Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel, machte noch in der jüngsten Vergangenheit von sich reden, als er vor einer »Verschwuchtelung« des sächsischen Parlamentarismus sprach.
Für Lesben und Schwule sollte jedoch nicht von Interesse sein, ob die NPD oder andere neofaschistische Parteien und Organisationen zukünftig auf allzu offene Hetze gegen sie verzichten werden. Das zumindest ist die Homobewegung, wie immer sie sich in Einzelfragen heutzutage mehrheitlich politisch positionieren mag, etwa den mehreren tausend schwulen Männern schuldig, die von den Nazis in den Konzentrationslagern interniert und ermordet wurden.
Markus Bernhardt
Wie immer geht unser Dankeschön an den Autor und die momentan einzige linke Tageszeitung der BRD JungeWelt bei der wir uns wieder einmal bedienen durften!
Wir möchten noch darauf hinweisen, dass die red&queer 28 das Thema „Schwule Nazis“ als Schwerpunkt hat.
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