Pits and Perverts
Aus der aktuellen UZ – Unsere Zeit – Wochenzeitung der DKP.
Solidarität zwischen Schwulen, Lesben und Bergarbeitern
1984 – streikende Bergarbeiter bringen die britische Insel zum Beben. Margaret Thatcher hat Zechenschließungen ausgerufen, die Kumpel wehren sich. Doch das System zeigt sich unerbittlich: Thatcher orderte massive Polizeikräfte in die Region, um Streikbrecher in die Zechen zu führen und sich bürgerkriegsähnliche Schlachten mit den Streikenden zu liefern. Die Bergleute haben buchstäblich kein Geld, Streikgeld wird in der britischen Bergarbeitergewerkschaft traditionell nicht gezahlt, und doch zieht die Thatcherregierung von der Sozialhilfe 15 Pfund fiktives Streikgeld pro Woche ab – die Gewerkschaft könnte ja theoretisch zahlen, so die Begründung. Den Kindern der Bergleute wird die Beihilfe zur obligatorischen Schuluniform gestrichen, von der kostenfreien Schulspeisung werden sie ausgeschlossen. Sozialhilfe bekommen nur Familien – unverheiratete Bergleute stehen ohne jeden Penny da. Um den Streik durchzuhalten und nicht zu verhungern, sind die Kumpels und ihre Familien auf die karitative Wohlfahrt angewiesen und auf Spenden.
Gay Pride March in London 1984. Während sich die meisten Teilnehmer nur wundern, warum die Demonstration nicht angegriffen wird und das Polizeiaufgebot so gering ist, geht ein junger schwuler Aktivist von Demonstrant zu Demonstrant und sammelt Spenden für die streikenden Bergarbeiter. Wir haben dieselben Feinde gegen uns, so sein Argument, die Polizei, die Boulevardpresse und die Thatcher-Regierung.
So beginnt „Pride“, der neue Film von Matthew Warchus, der hier das erste Mal seit 15 Jahren wieder fürs Kino inszeniert und sich dafür eine wunderbare, wahre Geschichte ausgesucht hat.
Mark Ashton, der junge Aktivist, gründet mit seinen Freunden LGSM „Lesbians and Gays support the miners“ (Lesben und Schwule unterstützen die Bergarbeiter) und sammeln Spenden. Die werden sie aber nicht los, die Bergarbeitergewerkschaft beantwortet ihre Briefe nicht, und wenn sie anrufen, wird aufgelegt, sobald das „schwul“ im Namen der Unterstützergruppe fällt. Doch Mark und seine Freunde geben nicht auf, kurz entschlossen rufen sie beim örtlichen Streikunterstützungskomitee des walisischen Bergarbeiterdorfes Dulais an und treffen sich mit dem Vorsitzenden.
Welten prallen aufeinander, als Mark und die LGSM nach Dulais fahren und auf die walisischen Kumpel treffen. Doch nach und nach treten die Vorurteile in den Hintergrund und Freundschaften entstehen. Warchus hat den Film aller Tragik zum Trotz als Komödie inszeniert und es doch geschafft, tiefgründige Szenen mit einzubeziehen. Sei es die Wandlung Sians von der schüchternen Ehefrau eines Kumpels zur treibenden Kraft in einem Streik, die Figur von Gethin, des einzigen Walisers unter LGSM, der, seit er seinen Eltern gesagt hat, dass er schwul ist, nicht mehr in Wales war, oder der kämpferische Mark Ashton – Warchus schafft es, den historischen Figuren cineastisches Leben einzuhauchen. Und als bei einer Versammlung der Bergarbeiter als Reaktion auf eine flammende Rede Marks eine junge Frau aufsteht und anfängt „Bread and Roses“ zu singen, mussten nicht nur die drei Kommunistinnen im Kino die Taschentücher rausholen.
Kaum hatte die Murdoch Presse Wind von der schwul-lesbischen Solidarität bekommen, wurde sie auf den Titelseiten als „Pits and Perverts“ (Zechen und Perverse) verunglimpft – und lieferte damit den Titel für den fulminanten Höhepunkt der Solidaritätskampagne von LGSM: den „Pits and Perverts Ball“, ein Konzert in London mit Bronski Beat als Headliners.
In einer emotionalen Rede am Ende des Konzerts dankt Dai, der Vorsitzende des Streikkomitees von Dulai, den Unterstützern: „Wir haben Geschichte geschrieben. Unsere Freundschaft hat Geschichte geschrieben. Ihr habt unsere Anstecker getragen, jetzt werden wir eure tragen. Wir werden euch unterstützen.“
Im Film nicht zu sehen ist, was er noch hinzufügte: „Es wird sich nicht über Nacht ändern, aber 140 000 Bergarbeiter wissen jetzt, dass es andere Anliegen gibt und andere Probleme. Wir wissen jetzt von Schwarzen und Schwulen und nuklearer Abrüstung. Wir werden nie wieder dieselben sein!“
Auch an anderer Stelle klemmt sich der ansonsten historisch akkurate Feel Good Film die wahren Fakten.
Lesbians and Gays Support the Miners war kein spontaner Einfall eines jungen, schwulen Aktivisten. Mark Ashton war nicht nur ein Schwuler, der für seine Rechte kämpfte, sondern ein Kommunist, der für die Rechte aller kämpfte. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens und Vorsitzender der Young Communist League, der Schwesterorganisation der SDAJ. Er kannte den Zusammenhang von Arbeiter-, Frauen- und Homosexuellenrechten, er kannte die Bedeutung von Unterdrückung für das kapitalistische System. Diese Erkenntnis deutet „Pride“ leider nur an.
Der Film kann kein Happy End haben. Der Streik endete am 5. März 1985 nach 366 Tagen als eine schwere Niederlage der britischen Arbeiterbewegung. Thatcher selbst sprach davon, dass sie der Gewerkschaftsbewegung eine Lektion erteilt habe – die niemand vergessen sollte. – 11 291 Bergarbeiter waren zumindest zeitweilig inhaftiert, 10 Menschen (sieben Streikposten, ein Taxifahrer und zwei Teenager) wurden während des Streiks getötet.
Mark Ashton starb 1987 mit nur 26 Jahren an den Folgen von Aids, nur zehn Tage nachdem er seine Diagnose erhalten hatte.
Doch Dai, der Vorsitzende des Streikkomitees von Dulai, sollte Recht behalten. Etwas hatte sich geändert. Der Gay Pride March in London 1985 wurde angeführt von mehreren tausend Bergleuten mit Gewerkschaftsbannern und einem Transparent mit der Aufschrift „Miners support the Lesbians and Gays“.
Matthew Warchus und seinem hervorragenden Ensemble ist ein großartiger Film über Solidarität gelungen.
Melina Deymann
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