Russland auf dem Weg ins Mittelalter?
Vorabdruck des Artikels von Willi Gerns (Bremen) aus Unsere Zeit – Zeitung der DKP vom 01. Februar 2013:
Duma segnet Verbot der „Homo-Propaganda“ ab
Am 25. Januar hat die russische Duma in erster Lesung einem umstrittenen Gesetz gegen „Homo-Propaganda“ zugestimmt. Die endgültige Beschlussfassung soll noch in der laufenden Sitzungsperiode erfolgen, die bis zum 14. Juni läuft. Für das Gesetz stimmten 388 der 450 Abgeordneten, einer enthielt sich der Stimme und einer votierte dagegen. 52 anwesende Deputierte verweigerten die Teilnahme an der Abstimmung. Diese dürften vor allem der LDPR [1] von Schirinowski angehören. Dieser hatte bereits im vorhinein die Nichtbeteiligung angekündigt.
Daraus ist zu schließen, dass die KPRF, deren Fraktion 92 Abgeordnete angehören, zugestimmt hat. [2]
Das Gesetz sieht für „Homo-Propaganda“ unter Kindern empfindliche Geldstrafen vor. Es ist dabei so allgemein und auslegbar gefasst, dass faktisch jede Thematisierung der Sexualität von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in der Öffentlichkeit – in der ja so gut wie immer auch Kinder anwesend sind – davon betroffen ist Mehr noch, geahndet werden soll auch – wie RIA NOVOSTI berichtet, „das Postulat der sozialen Gleichwertigkeit lesbisch/schwuler Lebensformen Minderjährigen gegenüber.“ Es wird als verzerrte Weltsicht angeprangert. Wobei angemerkt werden muss, dass der Begriff „Kinder“ auf alle ausgedehnt wird, die noch nicht volljährig sind.
Die Zustimmung der KPRF zu einem solchen Gesetz muss Kommunisten nicht nur verwundern, es macht betroffen. Zu den Positionen der DKP in dieser Frage steht sie jedenfalls in krassem Gegensatz. Dabei ist das Votum der KPRF-Abgeordneten eigentlich keine Überraschung. War doch schon im September 2010 im Zusammenhang mit dem in Petersburg geplanten zweiten internationalen Festival „Queer-Kultur“ (das dann allerdings von den Behörden verboten wurde) in der KPRF-Zeitung „Sowjetskaja Rossija“ zu lesen: „Dem Wesen der Sache nach wird in St. Petersburg 10 Tage lang offene, legalisierte und effektive Propagierung von Sittenverderbnis und Laster stattfinden. (… ) Wir sind sicher, dass diese Zeit ausreichen wird, um die Seelen tausender Kinder und Heranwachsender zu verderben.“
Und weiter: „Die russische Orthodoxe Kirche zählt die sexuellen Minderheiten nicht umsonst zu den Satanisten. Durch Gott und die Natur sind Männer und Frauen vorbestimmt. Die Sodomiten handeln den von Gott aufgestellten Regeln zuwider.“ Schließlich stellte die „Sowjetskaja Rossija“ die Behauptung auf, dass die sexuellen Minderheiten das Milieu bilden, „in dem Pädophile und sexuelle Triebtäter herangezogen werden“. Nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen anderen Ländern zeigt die Wirklichkeit dagegen, dass es vielmehr das Zölibat und kirchliche Dogmen sind, die ein Milieu prägen, in dem nicht Wenige zu Pädophilen und Triebtätern werden.
Die Argumentation in der „Sowjetskaja Rossija“ wie auch das jüngste Abstimmungsverhalten von KPRF-Abgeordneten in der Duma legen den Schluss nahe, dass der Dogmatismus der russisch-orthodoxen Kirche, der seit der Konterrevolution die ganze russische Gesellschaft durchdringt, offenbar auch nicht ohne Einfluss auf Teile der kommunistischen Bewegung in diesem Lande ist. [3]
Wir treten jedenfalls unmissverständlich für gleiche Rechte der Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung ein, wie wir zugleich für die konsequente strafrechtliche Verfolgung von sexuellem Missbrauch an Kindern sind, und dies ebenso unabhängig von der sexuellen Orientierung derjenigen, die diesen Missbrauch begehen.
Kritisiert wird das russische Gesetz auch von Politikern und Medien in Deutschland und anderen EU-Ländern. Ihnen ist allerdings Doppelzüngigkeit vorzuwerfen solange sie nicht vor der eigenen Tür kehren und sich auch mit der Diskriminierung sexueller Minderheiten durch christlichen Fundamentalismus im eigenen Land auseinandersetzen.
Als Beispiel dafür soll hier nur eine im Internet kursierende Unterschriftensammlung unter einen Appell an den Bundespräsidenten, die Bundeskanzlerin und die Kultusminister der Bundesländer genannt werden, die von einer als e.V. geförderten „Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur (DVCK e.V).“ veranstaltet wird. Darin protestieren die Fundamentalisten gegen einen Beschluss des Berliner Senats, in der Grundschule Sexualkundeunterricht durchzuführen. Angeprangert wird, dass dabei auch die „Vielfalt der Sexualität“, „Verständnis für alle möglichen ‚sexuellen Identitäten‘ wie Homosexualität usw.“, „Anderssein“ und „unkonventionelles Zusammenleben“ thematisiert werden sollen (alle Zitate aus dem Appell). „Diese Angelegenheit – so heißt es weiter – ist schlichtweg ein Skandal und ein Angriff auf die moralische Gesundheit unserer Kinder. Hier geschieht nichts anderes als eine Gehirnwäsche, um bei den Kindern die christliche Sicht von Mann, Frau und Familie auszulöschen.“
Ein Skandal ist jedoch dieses Pamphlet der selbsternannten geistigen Gotteskrieger. Ist es ihnen etwa lieber, dass die Kinder auf der Straße oder durch pädophile Geistliche von der Vielfalt des Sexuallebens erfahren als von ausgebildeten Pädagogen darüber aufgeklärt zu werden?
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[1] LDPR: „Liberal-Demokratische Partei Russlands“, laut Wikipedia eine nationalistische-populistische Partei. Die LDPR wurde 1989 gegründet und wird von Wladimir Schirinowski angeführt. Sie hat 56 der 450 Parlamentssitze inne.
[2] KPRF: „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“, sieht sich als Nachfolgerin der KPdSU. Die KPRF wurde 1993 gegründet und wird von Gennadi Sjuganow angeführt. Sie hat 92 der 450 Parlamentssitzen inne. Die KPRF tritt regelmäßig aktiv homophob auf.
[3] Zur historischen Erklärung der Homophobie in der KPRF referierte Willi Gerns am 4.12.2010 bei DKP queer in Hamburg.
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