Unzucht und schlechte Erziehung

Russisch-orthodoxe Ultras liefern Munition für antirussische Hetze © Unsere Zeit (UZ)
Russisch-orthodoxe Ultras liefern Munition für antirussische Hetze © Unsere Zeit (UZ)

Im Sommer 2013 unterzeichnete der russische Präsident ein von der Duma beschlossenes Gesetz, das „homosexuelle Propaganda“ unter Minderjährigen verbietet. Positive Äußerungen über Homosexualität in der Öffentlichkeit können seitdem bestraft werden. Diesem skandalösen Gesetz hatten bekanntlich auch die Abgeordneten der KPRF zugestimmt. Das Gesetz ist das Ergebnis des überragenden Einflusses der reaktionären Dogmen der russisch-orthodoxen Kirche auf die Öffentlichkeit und die Politik des Landes.

Besonders reaktionären Vertretern dieser Kirche reicht das Gesetz jedoch noch nicht. So fordert der „Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche, Wsewolod Tschaplin, der als einer der einflussreichsten Kirchenfunktionäre gilt, nach einem Bericht der Agentur „Russland Aktuell“ ein Referendum über die Wiedereinführung von Strafen für homosexuelle Handlungen. Er sei für eine vollständige Eliminierung homosexueller Kontakte in der Gesellschaft erklärte er. „Wenn das mit Mitteln moralischer Überzeugung gelingt, umso besser, wenn dafür die Einschaltung von Gesetzen nötig ist, dann lasst uns die Menschen befragen, ob sie dazu bereit sind.“

Tschaplin reagierte damit auf eine Initiative des russischen Schauspielers und ehemaligen orthodoxen Geistlichen Iwan Ochlobystin. Dieser hatte in einem offenen Brief an Präsident Putin die Wiedereinführung der Strafbarkeit für homosexuelle Handlungen gefordert. Sollte die Einführung eines solchen Gesetzes nicht in der Kompetenz des Präsidenten liegen, hatte er ebenfalls ein entsprechendes Referendum empfohlen. Einen Monat zuvor hatte der „fromme“ Mann bei einem Auftritt gar vorgeschlagen, Homosexuelle bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Auch andere einflussreiche Leute äußern sich ähnlich. Ein Beispiel dafür ist auch der Journalist Dmitri Kisseljow, der erst vor wenigen Wochen zum Generaldirektor der neugeschaffenen Agentur „Russland heute“ befördert wurde, die aus der Fusion von RIA Novosti und der Stimme Russlands hervorgegangen ist. Er hatte gefordert, Homosexuellen das Blut- und Samenspenden zu verbieten und ihre inneren Organe nach dem Tod zu verbrennen. Ob mit einem Menschen dieser Geisteshaltung an der Spitze der neuen Agentur das erklärte Ziel der Fusion, ein attraktiveres Gesicht Russlands in der internationalen Öffentlichkeit zu präsentieren, zu erreichen ist, muss bezweifelt werden.

Die zitierten Äußerungen sind leider nur die Spitze des Eisbergs. Die russische Gesellschaft gilt unter dem verheerenden Einfluss der Orthodoxen Kirche als mehrheitlich homophob. So halten nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum 34 Prozent der Befragten Homosexualität für eine Krankheit, die geheilt werden muss, 23 % für die Folge schlechter Erziehung oder das Ergebnis von Unzucht (17 %). Nur 16 Prozent der Befragten sehen die sexuelle Orientierung als angeboren an.

Dem russischen Präsidenten dürfte die von Tschaplin, Ochlobystin, Kisseljow und anderen so kurz vor der Olympiade in Sotchi losgetretene Kampagne für eine weitere Verschärfung der Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung keineswegs gelegen kommen. Liefern die homophoben russischen Ultras damit doch den russophoben Ultras in Politik und Journaille der USA und der EU-Länder zusätzliche Munition für ihre seit Monaten andauernde und sich mit dem Näherkommen der Spiele geradezu überschlagende antirussische Hetzkampagne, in der der Umgang mit der Homosexualität in Russland einen zentralen Platz einnimmt.

Man kann gewiss sein, dass die Ultras im Westen nichts unversucht lassen werden, um auch während der Spiele in Sotchi selbst und anderswo antirussische Aktionen zum Thema Homophobie in Russland zu organisieren. Die Empörung darüber wäre allerdings glaubwürdiger, wenn zunächst oder wenigstens zugleich vor der eigenen Haustür gekehrt würde. Dort gibt es bei der Gleichstellung Homosexueller noch genug zu tun. Das gilt besonders für die Länder, in denen die römisch-katholische Kirche eine ähnlich herausragende Rolle spielt wie die orthodoxe Kirche in Russland. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet das jüngste EU-Land Kroatien in dem gerade durch ein Referendum Ehen zwischen Homosexuellen abgelehnt und die Ehe zwischen Mann und Frau als einzige verfassungsgemäße Form der Ehe festgeschrieben wurde.

Putin würde der antirussischen Hetze im Westen einigen Wind aus den Segeln nehmen, wenn er die neue Kampagne der homophoben Scharfmacher in seinem Lande entschieden zurückweisen würde. Dies ist allerdings kaum zu erwarten. Der Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche auf Gesellschaft und Politik ist zu groß. Dazu hat aber gerade Putin wesentlich beigetragen. Er hat sich der Kirche und ihrer Obrigkeit bedient, um seine Macht und Popularität auszubauen und sie dabei zu einem Faktor gemacht, der heute eine maßgebliche Rolle in der russischen Politik spielt.

Von Willi Gerns in Unsere Zeit (UZ)

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